Der Bach im Dorf

Fast ist die Zeit abgelaufen, um noch einen Beitrag zur fantastischen und schon sehr umfangreichen Blogparade #Kultblick des Archäologischen Museums Hamburg (gemeinsam initiiert von Katrin Schröder und Tanja Praske vom KULTUR-MUSEUM-TALK) los zu werden. Viele Aspekte sind schon beschrieben, wundervoll! Diese Vielfalt! Wir konnten noch gar nicht alles lesen, weil es so viel ist und auch in so viele Richtungen weiterführt. Danke für diese Initiative! Dennoch wollen wir mit unserem noch ganz jungen Blog etwas dazu beitragen und die Frage: „Wie blickt ihr auf Kultur, was habt ihr verloren und wiedergefunden?“ aus unserer Sicht versuchen, zu beantworten. Ich, Susanne Schneider, habe es in dem Fall geschrieben, aber Susanne Krumpfer hat es gegengelesen und steht dahinter.

Seit vielen Jahren (im nächsten Jahr werden´s 20) spielen wir zusammen als Duo. Dabei ist uns der Konzertbetrieb im Sinne von „Konzert – Applaus – fertig – weiter zum nächsten Auftritt…“ noch nie wichtig gewesen. Wir betrachten die Sache, dass wir miteinander für Publikum spielen, eher als unsere geistige Nahrung, die wir mit anderen teilen wollen. Es ist unser kleiner Rückzugs- und Experimentierraum. Wir versuchen, uns so der Kultur unserer Umgebung von allen Seiten aus zu nähern. So spielten wir Programme, die sich einem Thema widmeten (Vögel, Wasser, Tänze… mehr dazu findet man unter Programme auf unserer Seite oder auch da) und die wir durch poetische und literarische Beiträge oder Kunstbetrachtungen erweiterten, manchmal auch ins Kulinarische abschweiften. Unser Publikum ist sehr verschieden, hat verschiedenste Erwartungen. Die Zuhörer, die zu uns ins Konzert kommen, kommen aus eigenem Antrieb, da ist es leicht, sie zu begeistern.

Bei anderen ist es schwerer, sie abzuholen und das ist natürlich eine reizvolle Herausforderung für uns. Erfahrungen, die diejenigen als Kinder machten spielen da eine große Rolle… Oft buchen uns heute Lehrer für Schulkonzerte und die Kinder „müssen“ ins Konzert. Das war schon zu allen Zeiten so und wir selbst erinnern uns an manch furchtbares Erlebnis aus unseren Schultagen. Musik fristet im Schulbetrieb oft ein etwas stiefmütterliches Dasein und wird nicht von allen geliebt, gerade wenn das Wort Klassik erwähnt wird. Zensuren werden vergeben! Für manche Kinder ist das eine völlig fremde Welt, weil sie zu Hause nie Umgang mit „handgemachter“ Musik haben. Da ist dieses Wörtchen Klassik irgendwann wie ein Scheunentor, das vor der Nase zufällt, dessen Schlüssel man nie wieder sucht und damit ist dann ein Teil der musikalischen Welt unerreichbar. Sie wachsen heran und möchten mit Klassik nichts mehr zu tun haben, gehen nie wieder in ein klassisches Konzert, weil sie Angst haben, sie könnten etwas falsch machen. Dabei kann Musik ein sehr verbindendes Element sein, kann Worte vertiefen, Emotionen wecken, Farben vor dem inneren Auge entstehen lassen, Gemeinschaft schaffen, Geschichte erlebbar machen. Jedem von uns ist es sicher schon einmal so gegangen, dass ein bestimmter Ort oder eine Begebenheit, den/die man mit Musik erlebt hat, sofort wieder da ist, sobald man die damals erklungene Musik ein weiteres Mal hört. Musik kann ein „Türöffner“ für vieles sein, wie eine Art „Zeitenspringer“. Jede Epoche hat ihre eigene Musik, sie ist nicht sichtbar, aber man kann sie hörbar machen, man ist damit plötzlich in einer anderen Zeit und wenn man nach Örtlichkeiten, Komponisten und Entstehungsgeschichten der Musik sucht, bekommt man vieles erzählt, was die Menschen damals wie heute beschäftigte.

Wir sind immer auf der Suche nach solchen „Türöffnern“… vielleicht lassen wir kurz ein Bild vor unserem inneren Auge entstehen: Jedes (oder sagen wir mal fast jedes) Dorf hat einen Bach. Wenn wir Kinder fragen: „Wie heißt denn der Bach in eurem Dorf?“ stellen wir fest, dass nicht jeder weiß, wie der Bach seines Dorfes, seiner Stadt heißt, manchmal hat er ja auch keinen Namen. Aber gesehen hat ihn schon fast jeder, beim täglichen Gang durchs Dorf oder bei einem Sonntagsspaziergang. Gehört hat ihn vielleicht auch jeder, das Plätschern im Sommer oder das Rauschen nach einem Gewitterguss oder… naja, es gibt da viele Möglichkeiten. Rein geografisch gesehen. Der Bach kommt irgendwo her und fließt irgendwo hin, kann idyllisch sein oder wild und zerstörerisch.

Bachrot
Ein Bach… fast steht er, er wirkt farbenfroh inmitten des noch etwas farblosen nachwinterlichen und noch nicht frühlingserwachten Waldes

In Mitteldeutschland kann das Wort Bach auch etwas ganz anderes meinen. Es gab einmal eine Zeit, da hörte man vor allem in Thüringen: „…ob denn kein Bach mehr vorhanden, der sich ümb solch Dienst anmelden wollte, Er solte und müste wieder einen Bachen haben…“ (zitiert aus dem Buch „Bachs Welt“ von Volker Hagedorn, der wiederum Kantor Dedekind zitiert, der schreibt, dass der Arnstädter Herzog nach dem Tod des Johann Christoph Bach wieder händeringend einen Stadtmusici sucht und sehr gern wieder einen Bach hätte.) Sehr viele Sprosse der Familie Bach waren bereits vor Johann Sebastian Bach in sehr vielen Thüringer Städten und Dörfern als Stadtpfeifer, Stadtmusikanten, Hofmusikanten, Kantoren ect. tätig und auch nach Johann Sebastian, dem heute so verklärten Meister, gibt es viele weitere „Bäche“. Man kann sagen, jeder hatte „seinen Bach“. Das wäre unser „Aufhänger“… Natürlich gab es auch noch andere namhafte Musiker mit anderen Namen, die aus einer Stadt/Dorfgemeinschaft oft nicht wegzudenken waren. Auf ihre Weise konnten sie für das Wohl einer Stadt, eines Dorfes sorgen, sei es nun bei freudigen Anlässen, wenn sie bei Hochzeiten und Taufen aufspielten oder bei traurigen Anlässen mit ihren Tönen trösteten. Oft war das Leben nicht leicht damals in Zeiten von Pest und vielen Kriegen, viele Menschen wurden nicht alt, sehr viele Kinder starben. Was uns bis heute überliefert wurde, sind oftmals Blätter oder Hefte voll wundervoller Musik, die wir heute immer und immer wieder spielen. Die Geschichten um die Personen, die sie schrieben, kennen wir allerdings oft nicht mehr.

Wir haben uns vorgenommen, diese Geschichten zu suchen und zu erzählen und auf die Suche zu gehen nach dem „Bach“ im eigenen Dorf… da ist er wieder, unser „Aufhänger“… Vielleicht ist es ja auch kein Musiker, den man im Dorf findet, auch viele andere haben Spuren hinterlassen, Maler, Bildhauer, Architekten, Forscher, Wissenschaftler, Schriftsteller, Theaterleute… es gibt da so viele Möglichkeiten. Oft finden wir Spuren im Alltag, tausendmal geht man manchmal an Dingen vorbei, bis man sich irgendwann fragt: „Was ist das eigentlich?“ Sicher kann man nicht mehr alles herausbekommen, aber vieles fügt sich zusammen wie bei einem großen Puzzle. Der Bach in unserem Dorf kommt eben irgendwo her, so wie auch Veit Bach, der Vorfahr dieser riesigen Musikerfamilie irgendwo herkam, nämlich aus Pressburg bzw. Bratislava… Das Suchen dieser Geschichten ist so wichtig und wie wir damit umgehen, macht doch Kultur und kulturelles Miteinander aus.

Wir sollten alle mal zum Bach in unserem Dorf gehen, ihm lauschen und uns fragen, was an seinem Ufer wohl alles schon geschehen ist, welche Musik er hörte, welche Leute dort früher ihre Wäsche wuschen, ihr Handwerk ausübten, worüber sie sich unterhielten, was sie zu ihrer Zeit beschäftigte… und dann erzählen wir uns, was wir gesehen und gehört haben, schreiben es vielleicht auf und tauschen uns aus, auf den Wegen, Straßen, Plätzen, vielleicht oder hoffentlich auch im Internet (denn das bringt die große Welt noch einmal um ein Vielfaches näher). Wir werden feststellen, dass es sehr viele Geschichten gibt, erstaunliche und ganz simple, fremde, alteingesessene, verrückte, tragische…

Dass uns der Bach als geografisches Objekt oder als musikwissenschaftliche Person nur ein erzählerisches Mittel zum Zweck ist, ist wohl jedem schnell klar. Auch liegen die Geschichten ja nicht auf der Straße, sondern sind zum Teil sehr schwierig herauszufinden, aber das muss man ja nicht von vornherein so erzählen… Hauptsache, die Leute kommen erst einmal heraus aus ihren manchmal recht eng gezimmerten Wohnzimmerwelten, in denen manchmal schon Wörter wie Kultur seltsame Gedankengänge auslösen können (wir wissen, wovon wir da sprechen ;).

 

7 Antworten auf „Der Bach im Dorf

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  1. Liebe Susanne,

    ich bin begeistert – so berührend, euer #KultBlick auf eurem tatsächlich jungen Blog. Hm … die Idee gab es wohl schon länger, oder? Bedurfte es da gerade mal ein Anlass, um in die Tat überzugehen – was mag das nur gewesen sein 😉

    Lese ich Posts wie diese, dann bin ich einfach nur happy. Die Kulturstimmen müssen mehr und dadurch mächtiger werden. Sie müssen ins Ohr der Menschen nicht nur hineingebrüllt werden, sondern tatsächlich mit allen gemeinsam etwas pro Kultur umsetzen. Ihr tut das – mir gefällt euer Anspruch, Türöffner zu finden und zu sein. Und die Metapher des Bachs, die Vieldeutigkeit, ist einfach nur grandios. Schade, dass ihr so weit von München entfernt seid. Ich würde Mini nur zu gerne auf euch loslassen bzw. anders herum. Ihr würdet ihr bestimmt Wunderbares einflüstern.

    Danke fürs Mitgestalten!

    herzlich,
    Tanja

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    1. Liebe Tanja,

      danke! Ich muss ein bisschen schmunzeln… die Idee, unsere Website nach hier umzuziehen, ist allerdings schon älter, nur die Verwirklichung wurde immer wieder herausgeschoben. Nun jedoch ging doch alles sehr schnell… Anlässe gab es dafür viele, ein verzweifelter Versuch, etwas auf der alten Seite zu ändern und das „Daran-verzweifeln“, war das berühmte „Los, jetzt oder nie!“… und dann haben wir noch ganz spontan einen #Kultblick von uns hinterherschrieben, weil wir so in Schwung waren. (Auf Twitter wurde schon angemerkt, dass es bei uns noch so leer aussieht, da muss man doch handeln.) 😉

      Wir haben Glück, dass die Familie Bach so einen vieldeutigen Namen trägt, das macht es einfach, „Türöffner“ zu finden. Hineinbrüllen in die Ohren der Menschen können wir es leider nicht. Es würde hier in Mitteldeutschland nicht funktionieren, es brüllen leider derzeit zu viele hier herum. Da muss man es leiser versuchen, wie eben mit dem Rauschen eines Baches. Erfreulicherweise hören dann sehr viele schnell zu, denn diese Metapher schaffen den Eingang… wer weiß, in München würde es vielleicht nicht funktionieren. Jedes Dorf hat seinen Bach und das ist ja auch das Schöne. Vielleicht kommt ihr ja irgendwann mal hier vorbei und schaut unsere Bäche an… dann erzählen wir eurer Mini etwas davon.

      Danke für das Anstoßen immer neuer/alter Diskussionen und hoffen wir, dass sie nicht in unserer Kulturblase hängen bleiben.

      Sehr herzliche Grüße nach München an dich und Mini,
      Susanne (bei uns hier bin ich die Flötensuse), die andere Susanne, die Harfensuse grüßt ebenfalls

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