Ein Blick in die Welt von Gestern

Lange geplant, dreimal verschoben, nun endlich war es soweit. Die beiden hier bereits vor über einem Jahr angekündigten Abende „Ein Blick in die Welt von Gestern“ mit Texten von Stefan Zweig und Max Mannheimer konnten stattfinden. Zwei Abende, die nicht unmittelbar zusammengehören und dennoch thematisch einander wunderbar ergänzen. Stefan Zweig erzählt in seiner sehr umfangreichen Autobiografie „Die Welt von Gestern“ vom Wiener Kulturleben vor dem ersten Weltkrieg und aus seinem Alltag als weitgereister Schriftsteller und pazifistischer Europäer. Max Mannheimer schrieb sein „Spätes Tagebuch“ für seine Tochter Eva. Beide Bücher sind Zeitzeugenberichte, die uns heute einen sehr authentisch beschriebenen Rückblick erlauben, den uns kaum noch jemand ermöglichen kann, denn es gibt immer weniger lebende Zeitzeugen.

Michael Stacheder (Theaterwelten) reiste aus Bad Aibling an und nach kurzer Abstimmungsprobe fand der erste Abend mit Texten von Stefan Zweig im Chinesischen Pavillon auf dem Weißen Hirsch in Dresden, musikalisch begleitet von mir, Susanne Schneider mit Flöte und Bassflöte und dem Streichquartett der Staatsoperette Dresden statt. Wir waren froh, dass sich doch trotz der katastrophalen Entwicklung der Coronalage in Sachsen ein zahlreiches, sehr interessiertes Publikum fand, dass sich unter den neu erlassenen Pflicht-2G-Bedingungen sichtlich wohl fühlte.

Foto aus der Probe – Michael Stacheder und das Streichquartett der Staatsoperette Dresden
Foto: Susanne Schneider

Was ist der Chinesische Pavillon für diese Lesung doch für ein wunderbarer Ort. Er wurde 1911 in Shanghai erbaut und in Einzelteilen nach Deutschland verschifft. Hier in Dresden wurde er erst im Rahmen der ersten Internationalen Hygiene-Ausstellung am Großen Garten errichtet und, als die Ausstellung beendet war, als Gastgeschenk zurückgelassen. Wieder baute man den Pavillon ab und nochmals im Rathauspark am Weißen Hirsch auf, diesmal auf einem Erdgeschoß-Sockel, da der neue Standort etwas am Hang lag. Der Pavillon war willkommene Ergänzung für den Kurbetrieb als Lesehalle und Kurcafé, eine wunderbare Kombination für die Kurgäste seit 1913 bis 1939. Ab 1938 durften jüdische Bürger diesen Pavillon nicht mehr betreten, ausländische Journale und Zeitungen wurden stark eingeschränkt. Ab 1939 wurde es als Lazarett genutzt. Nach dem Krieg waren mehrere Gaststätten im Haus, im August 1997 brannte der Pavillon nahezu vollständig aus. Seit 2005 bemüht sich nun der Verein „Chinesischer Pavillon zu Dresden e.V.“ (seit 2006 auch Eigentümer) dank vieler Spenden um den Wiederaufbau und eine Sanierung, die eine Nutzung als Veranstaltungs- und Begegnungsraum wieder ermöglichen.

Für uns Musiker war das ein Rahmen, wie wir ihn uns schöner für diese Lesung nicht hätten wünschen können. Stefan Zweig, dem damals populärsten österreichischen Schriftsteller, den Richard Strauss als Librettisten sehr verehrte und auch bei der Premiere von „Die schweigsame Frau“ hier in Dresden sehr verteidigte, hätte es sicher gut gefallen.

Michael Stacheder las aus dem sehr umfangreichen Buch, eine Auswahl ist immer schwierig. Er konzentrierte sich auf einzelne Schwerpunkte und so streiften wir gedanklich durch die reiche Kulturlandschaft Wiens der Vorkriegszeit des ersten Weltkrieges, spürten Zweigs Salzburger Zeit in der „Villa Europa“ nach und hier in Dresden spielte natürlich auch die Zusammenarbeit mit Richard Strauss eine große Rolle. Musikalisch ergänzt und untermalt wurde der Abend durch Flötentöne (Flöte und Bassflöte) von Susanne Schneider und dem Streichquartett der Staatsoperette Dresden mit Ausschnitten und Bearbeitungen, die zum Text passten. Dazu gehörten nicht nur Haydn- und Beethoven-Zitate, sondern auch Liedbearbeitungen von Zemlinsky und Strauß oder ganz gegensätzlich und dennoch ergänzend ein Ausschnitt aus dem Schalom-Quartett von Rainer Promnitz, der an diesem Abend als Gast das Cello im Streichquartett spielte.

Am Tag darauf, dem geschichtsträchtigen 9. November (u.a. dem 83. Jahrestag der Novemberpogrome von 1938), waren wir mit dem zweiten Abend auf Einladung von Prorektor für Bildung Prof. Michael Kobel und dem ehemaligen Generaldirektor Achim Bonte (vertreten von seiner Nachfolgerin Dr. Julia Meyer), in der SLUB im Unigelände zu Gast.

Michael Stacheder las aus dem Tagebuch von Max Mannheimer, das er erst sehr spät für seine Tochter Eva schrieb. Vorher hatte er keine Worte für all das, was er und seine Familie durchleiden musste. Bis zu seinem Tod im September 2016 war Max Mannheimer unermüdlich tätig in Führungen, Diskussionen und Vorträgen durch die KZ-Gedenkstätte Dachau. Er erzählte nie anklagend, aber er wollte, dass wir begreifen, warum er davon erzählte und wir es weitergeben müssen.

„Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschah. Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon.“

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Bloggen auf WordPress.com.

Nach oben ↑

%d Bloggern gefällt das: